Tiefer Biss (Deepbite) mit Alignern behandeln – was ist realistisch?
- SmileClubOne

- 2. Okt.
- 6 Min. Lesezeit

Kurzantwort {#kurzantwort}
Aligner können einen tiefen Biss im Mittel um etwa 1,5 mm öffnen (≈ 3 von 5 Millimetern geplant → 2 von 5 erreicht) – vor allem durch Proklination und leichte Intrusion der Frontzähne, nicht durch große Molaren-Extrusion. In einer Praxis-Serie (n = 40) lag die Median-Verbesserung bei 1,5 mm; bei offener Bisslage kam es spiegelbildlich zu 1,5 mm Vertiefung (Mechanismus: Frontzahn-Extrusion). Der posterioren Vertikaldimension blieb weitgehend stabil. (2017; DOI: 10.1016/j.ajodo.2016.09.022)
Digitale Setups überschätzen die erreichbare Bissöffnung deutlich: In Studien wurden im Schnitt nur 33–43 % der geplanten Overbite-Reduktion klinisch ausgedrückt; je tiefer der Ausgangsbiss, desto größer die Unterexpression. (2021; DOI: 10.1016/j.ajodo.2020.06.042 • 2022; DOI: 10.1016/j.ajodo.2022.05.012 • 2023; DOI: 10.1016/j.ajodo.2022.07.019)
Bei starkem Deepbite erreichten Aligner in einem direkten Vergleich mit Brackets ähnliche Gesamtergebnisse, aber mit anderen Mechanismen (mehr Frontintrusion, weniger Molaren-Extrusion) und ohne längere Behandlungszeit. (2022; DOI: 10.1016/j.ajodo.2020.08.023)
Langantwort {#langantwort}
Die derzeit beste Evidenz stammt aus retrospektiven Kohorten und methodisch sauberen Modell-/Ceph-Analysen:
Khosravi et al. werteten 120 konsekutive Aligner-Fälle aus: Normalbiss blieb stabil; Deepbite-Fälle öffneten den Overbite median um 1,5 mm vor allem durch Proklination der UK-Incisivi und Intrusion der OK-Incisivi; Molaren zeigten nur minimale, teils messfehler-große Änderungen; die mandibuläre Ebene blieb praktisch unverändert (Abb. 3–5, S. 695–697). (2017)
Blundell et al. zeigten in 42 Erwachsenenfällen, dass ClinCheck die Bissöffnung überprognostiziert: Klinisch wurden ≈ 39 % des geplanten Effekts erreicht; die Diskrepanz steigt mit der Ausgangstiefe (Bland-Altman-Analyse). (2021)
In einer Erweiterung (2022) zeigte sich kein Vorteil von Precision Bite Ramps (SmartTrack) gegenüber älterem Material (EX30); die Ausdrucksrate lag bei 43 % (mit Ramps) bzw. 55 % (EX30). (2022)
Shahabuddin et al. (n = 24) bestätigten nach der ersten Aligner-Serie eine mittlere Bissöffnung von 1,15 mm (≈ 33 % des Plans); die meisten Einzelbewegungen (v. a. UK-Frontintrusion und OK-Fronttorque) waren unterexpressed. (2023)
Fujiyama et al. verglichen schwere Deepbites (non-extraction) mit Aligner vs. festsitzend: Beide Gruppen erreichten gute Ergebnisse und ähnliche Dauer; Aligner korrigierten primär über OK-/UK-Frontintrusion (≈ 1–2 mm) bei geringerer Molar-Extrusion. (2022)
Übersetzt heißt das: Im Alltag ist eine Öffnung um rund 1–2 mm realistisch – häufig etwa ein Drittel des im Setup geplanten Effekts. Große Vertikaländerungen über die Backenzähne sind mit Alignern selten.
Kontext / Limitierungen {#kontext-limitierungen}
Studiendesigns: überwiegend retrospektiv; geringe Randomisierung; Modell-/Ceph-Messfehler (Khosravi: Overbite-Messfehler 0,08 mm; Tabellen S. 693).
Material/Hilfsmittel: SmartTrack-Material und Bite Ramps verbesserten die Bissöffnung nicht zuverlässig. (Blundell 2022)
Compliance: alle Studien setzen hohes Tragen (20–22 h/Tag) voraus; Unterexpression kann auch an Tragezeit liegen. (Mehrere Arbeiten im PDF heben dies hervor.)
Übertragbarkeit: Ergebnisse stammen von erfahrenen Zentren – weniger erfahrene Behandler können größere Abweichungen sehen. (Khosravi Diskussion S. 698–699)
Klinische Einordnung (Praxisperspektive) {#klinische-einordnung}
Regionale Unterschiede:
Front: Intrusion (gezieltes Hineinbewegen in den Knochen) und geringe Proklination sind verlässlicher; Torque-Kontrolle der OK-Front ist limitierend. (Shahabuddin Tab. IV)
Molaren: nur geringe Extrusion/Intrusion; okklusale Abdeckung wirkt wie Bite-Block – gut zur Stabilisierung, schlecht für große Vertikaländerungen. (Khosravi; Abb. 2–4)
Refinements: In Deepbite-Fällen sind 1–2 Nachschubserien die Regel, um Intrusion/Leveling nachzuschärfen. (Shahabuddin; Blundell)
Dauer: In direkten Vergleichen keine Verlängerung gegenüber Brackets bei schweren Deepbites (non-extraction). (Fujiyama)
Wann Aligner nicht die beste Option sind {#kontraindikationen}
Große skelettale Vertikalprobleme (Hyper- oder Hypodivergenz) mit notwendiger posteriorer Extrusion/Intrusion im Millimeterbereich – hier eher festsitzende Mechaniken und/oder TADs. (Übersichten 2024)
Geringe Tragezeit / Untercompliance – verstärkt Unterexpression (typisch nur 33–43 % des Plans). (Blundell 2021/2022; 2023)
Ausgeprägte transversale Diskrepanzen mit Bedarf an körperlicher Expansion der Molaren. (Zusammenschau 2024)
Fallbeispiele (anonymisiert) {#fallbeispiele}
w, 28 J., Deepbite 5,5 mm → 3,7 mm
Geplant: 3,0 mm Öffnung mit Bite Ramps; Erreicht: 1,8 mm (≈ 60 %); Mechanismus: UK-Frontintrusion 1,1 mm, OK-Fronttorque +. Refinement: 10 Aligner; Gesamtdauer: 14 Mon. (Muster wie in Shahabuddin 2023.)
m, 23 J., Deepbite 6,2 mm → 3,8 mm
Geplant: 4,0 mm; Erreicht: 2,4 mm (≈ 60 %); kaum Molar-Extrusion; Dauer: 18 Mon., 1 Refinement. (Mechanistik wie Khosravi.)
w, 19 J., Deepbite 5,0 mm, skelettal steil
Kombiniert: Aligner + selektive Frontintrusion + laterale Elastics; Erreicht: 1,6 mm; Bewertung: Erwartungsmanagement wichtig, da Molar-Extrusion begrenzt. (Prinzipien wie Fujiyama/Blundell.)
Zukunftsperspektive {#zukunftsperspektive}
Materialentwicklung: Mehrschicht-Folien, höhere Steifigkeit für Vertikalbewegungen – Evidenz noch heterogen. (Narrative Reviews 2024)
KI-gestützte Planung: Bessere Unterexpressions-Prognose und automatische Überkorrektur-Vorschläge (z. B. 150–200 % Intrusions-Overcorrection bei starkem Deepbite). (Planungsartikel im PDF)
Hybridkonzepte: Temporäre TADs + Aligner zur sicheren Vertikalveränderung bei geringer Molar-Extrusion. (Vergleichsarbeiten im PDF)
Handlungsempfehlungen {#handlungsempfehlungen}
Erwartungsmanagement: Realistisch 1–2 mm Overbite-Öffnung mit der ersten Serie; weitere 0,5–1 mm via Refinement.
Planung:
Überkorrektur im Setup (≈ 150 % der gewünschten Front-Intrusion).
Front zuerst: Sequenziertes Leveling (z. B. UK-Canini vor UK-Incisivi), Torque-Kontrolle der OK-Front einplanen.
Vertikale Auxiliaries gezielt, aber Effekte kritisch prüfen (Bite Ramps ≠ Garant).
Retention: Retainer + Bisskontrolle; bei steilem Gesichtstyp zusätzliche Schienennacht-Tragezeit zur Stabilisierung.
Pflicht-Disclaimer:
„Dies sind allgemeine Informationen und keine individuelle Therapieempfehlung—ärztliche Abklärung erforderlich.“
FAQ {#faq}
Kann man einen sehr tiefen Biss nur mit Alignern normalisieren?
Oft teilweise (≈ 1–2 mm). Für große Vertikaländerungen braucht es meist Refinements oder Hybrid-Mechaniken.
Bringen Bite Ramps sicher mehr Bissöffnung?
Nicht zwingend: In Studien keine konsistente Verbesserung gegenüber ohne Ramps.
Wie lange dauert die Behandlung?
Bei Deepbite ähnlich wie mit Brackets, wenn keine Extraktionen und gute Compliance.
Geht die Öffnung über die Backenzähne?
Mit Alignern selten – der Effekt kommt v. a. aus Frontzahn-Intrusion/-Proklination.
Wie sicher sind digitale Vorhersagen?
Setups überschätzen regelmäßig; klinisch werden ≈ 33–43 % realisiert.
Bullet-Belege (kompakt) {#bullet-belege}
Khosravi 2017 – n = 120; Median ΔOverbite −1,5 mm (Deepbite), +1,5 mm (Open bite); Mechanismus: UK-Proklination, OK-Intrusion; keine relevante Molar-Vertikaländerung. (Follow-up: post)
Blundell 2021 – n = 42; 39,2 % Plan-Ausdruck; 95,3 % Überprognose; Diskrepanz steigt mit Ausgangsbiss (Bland-Altman).
Blundell 2022 – n = 68; Precision Bite Ramps: 43,4 % vs. 55,1 % (EX30); 96,6 % Überprognose.
Shahabuddin 2023 – n = 24; ΔOverbite −1,15 mm (≈ 33 %); max. Unterexpression bei OK-Fronttorque; Intrusion UK-Front ≈ 1 mm.
Fujiyama 2022 – n = 50; Aligner vs. Brackets bei schwerem Deepbite: ähnliche Qualität/Dauer; Aligner: Frontintrusion 1–2 mm, weniger Molar-Extrusion.
Terminologie-Box {#terminologie}
Intrusion – gezieltes Hineinbewegen eines Zahns in den Knochen zur Bissöffnung.
Proklination – Nach-vorn-Kippen der Frontzahnachsen, reduziert Overbite.
Bite Ramps – Aufbisse im Aligner zur Disokklusion der Seitenzähne; erleichtern Front-Intrusion, sind aber kein Garant für größere Effekte.
Under-/Overexpression – Differenz zwischen geplantem und tatsächlich erreichtem Zahn-/Biss-Effekt.
E-E-A-T-Box {#eeat}
Autorin: Anna (Redaktion) — SmileClub One
Fachlich geprüft von: Dr. Umut Baysal
Erstellt: 2025-10-02 • Fachlich geprüft: 2025-10-02
Interessenkonflikte: keine
Kontakt: info@smileclubone.de
Version: v1.0 • Letzter Literatur-Check: 2025-10-02
Quellen {#quellen}
Khosravi R et al. Am J Orthod Dentofacial Orthop 2017;151:691-699. DOI: 10.1016/j.ajodo.2016.09.022. Primärstudie. (S. 693–699: Messfehler, Boxplots, Mechanismen)
Blundell HL et al. Am J Orthod Dentofacial Orthop 2021;160:725-731. DOI: 10.1016/j.ajodo.2020.06.042. Primärstudie (Modellvergleich).
Blundell HL, Weir T, Byrne G. Am J Orthod Dentofacial Orthop 2022;162:e71-e81. DOI: 10.1016/j.ajodo.2022.05.012. Primärstudie (Material/Bite-Ramps).
Fujiyama K et al. Am J Orthod Dentofacial Orthop 2022;161:542-547. DOI: 10.1016/j.ajodo.2020.08.023. Vergleichsstudie.
Shahabuddin N et al. Am J Orthod Dentofacial Orthop 2023;163:793-801. DOI: 10.1016/j.ajodo.2022.07.019. Primärstudie (3D-Registrierung).
Alawdi GM et al. Cureus 2024;16:e65973. DOI: 10.7759/cureus.65973. Review (Vertikale Diskrepanzen).
Blundell HL, Weir T, Meade MJ. Am J Orthod Dentofacial Orthop 2024;166:515-523. DOI: 10.1016/j.ajodo.2024.07.008. Primärstudie (Adoleszente).
Open-Data {#open-data}
Evidenz-Tabelle (Markdown)
Studie (Jahr) | Design | n | Kollektiv | Haupt-Effekt | Ausdruck % | Messmethode |
Khosravi 2017 | retrospektiv | 120 | Erwachsene | ΔOB Deepbite −1,5 mm (Median) | – | Ceph (S. 694–697) |
Blundell 2021 | retrospektiv | 42 | Erwachsene | ΔOB −; 39,2 % des Plans | 39 % | 3D-Modelle |
Blundell 2022 | retrospektiv | 68 | Erwachsene | Kein Vorteil Bite Ramps | 43–55 % | 3D-Modelle |
Fujiyama 2022 | retrospektiv, Vergleich | 50 | Erwachsene | Ähnliche Qualität/ Dauer vs. Brackets | – | Ceph/OGS |
Shahabuddin 2023 | retrospektiv | 24 | Erwachsene | ΔOB −1,15 mm | 33 % | 3D-Superimposition |
Blundell 2024 | retrospektiv | 102 | Adoleszente | ≈ 41 % des Plans | 41 % | ClinCheck-Messwerte |
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